Alpine Mineralklüfte

„Eine gegenteilige Ursache bringt den Kristall hervor. Durch starkes Gefrieren wird er verdichtet; jedenfalls findet man ihn nur dort, wo die winterlichen Schneefälle die eisigsten sind, und es steht fest, dass es sich um Eis handelt…Damit er entsteht, sind Regenwasser und reiner Schnee unerlässlich; auch verträgt er keine Wärme und man bedient sich seiner zur Kühlung von Getränken….Wir können mit Sicherheit angeben, dass er [der Bergkristall] in den Felsen der Alpen entsteht, oft an so unzugänglichen Orten, dass man ihn an einem Seil hängend herauszieht.
Warum er mit sechs Ecken an den Seiten wächst, davon kann nicht leicht ein Grund aufgefunden werden, um desto weniger, weil seine Spitzen nicht immer dieselbe Gestalt haben, und die Glätte seiner Flächen so vollendet ist, dass keine ihr gleichkommen kann.“

Beschreibung des Bergkristalls nach Plinius.

Die Klüfte der Alpen sind berühmt für ihren Kristallreichtum. Meist handelt es sich um offene Zerrklüfte, die durch die tektonische Beanspruchung während der späten Phase der Alpenfaltung (von 20 bis 15 Millionen Jahre) entstanden sind. Ab einer Temperatur von 500-450°C (ab einer Tiefe von 15-3 Kilometer) reagieren Gesteine wie Gneise, Glimmerschiefer und Amphibolite nicht mehr duktil , sondern spröde auf tektonische Verformung. Durch die Dehnung des abgekühlten, spröden Gesteins kommt es zur Bildung von Kluftspalten und Zerrklüften. Während der alpinen Metamorphose und bei Temperaturen um die 600-100°C kristallisierten in den Hohlräumen Kristalle aus.

Rekonstruktion einer alpinen Kluft im Granit des Mont Blanc mit typischer Mineralparagenese: Rauchquarz, seltener Fluorit, Chlorit breitet sich am Boden der Kluft aus.

Die Klüfte verlaufen meist senkrecht zur Schieferung und sind meist einige Meter bis Zehnermeter lang und maximal zwei Meter breit. Meist sind Klüfte komplett mit derben Quarz aufgefüllt, sind sie allerdings breit genug, kann ein Restraum offen bleiben, in denen Kristalle hineinwachsen können. Die Ausbildung der Klüfte und die anzutreffende Mineral-Paragenese sind stark vom Nebengestein abhängig.

Rekonstruktion einer alpine Zerrkluft in Chloritschiefer mit typischer Mineral-Paragenese in diesem Gesteinstyp: Adular, Quarz und Chlorit.

Adular, Albit, Calcit, Chlorit und Quarz kommen in vielen Klüften, auch unabhängig vom umgebenen Gesteinschemismus, vor – sie machen fast 80% der in einer Kluft zu findenden Mineralien aus. Charakteristische Kluftminerale sind weiters Aktinolith, Apatit, Ankerit, Dolomit, Epidot, Flourit, Hämatit, Titanit, Rutil und verschiedene Zeolithe (mehr als 140 verschiedene Mineralarten wurden in den Ostalpen nachgewiesen).

Um die 750-650°C, Temperaturen die in der Tiefe der Erdkruste herrschen können, bildet Wasser eine überkritische Phase aus (ein Zustand zwischen flüssig und gasförmig). Diese Phase ist sehr effektiv in Lösung von Elementen aus dem Muttergestein und Stofftransport, zwei Faktoren die das Kristallwachstum fördern. Es bilden sich Kristalle aus, meist in Form von Verwachsungen von verschiedenen Mineralien, oder seltener, als freie und gut ausgebildete Kristalle die in den verbleibenden Klufthohlraum hineinreichen. Das Vorherrschen von Quarz, Feldspat und Karbonate, die bei relativ niedrigen Temperaturen um die 550-350°C auskristallisieren, lässt vermuten, dass die meisten Klüfte bereits früh und sehr rasch ausgefüllt wurden. Die Kluft wird im Laufe der geologischen Zeit durch tektonische Kräfte in die Höhe gehoben. Verwitterung legt schließlich die Kluft frei und mit viel Glück findet der Mineraliensucher einen der begehrten Alpen-Kristalle.